Talk with Judith Engel (in German)

(September 2014)

Judith Engel // Ich hatte immer das Gefühl, dass es in deinen Arbeiten zwei Komponenten gibt. Die erste Komponente wäre ein Raster, dass sehr klar vorgeben ist in seiner Abfolge. Und dann kommt das Material dazu, dass irgendeine Eigenschaft aufweist, die dich interessiert. Klebeband, Metalldraht, Tusche. Das trifft dann auf diese feste Struktur. Ich hatte gedacht, dass es dir immer um eine Art Gleichgewicht geht, ohne dass die eine Komponente die Andere erschlägt.

Mirjam Widmann /// Es geht mir nie darum, etwas auszubalancieren. Es spielen verschiedene Dinge zusammen, die ich interessant finde. Zum einen gibt es eine Arbeit, die im Atelier in Edinburgh entstand: Ein schnell getaptes Gitter an die Wand. Und ich wusste nicht wirklich, was ich mit dieser Arbeit machen soll. Als wir Klassenbesprechung vor der Arbeit hatten, ist das Gitter interessant geworden. Die Gesichter der davorstehenden Personen haben begonnen sich in ein Proportionssystem einzuschreiben. Es hatte etwas von diesen Gefängnisfotos. Diesen Punkt fand ich interessant, dass das Gitter immer eine Art von Massstäblichkeit vorgibt. Die Bodenarbeit Gitter#21 spielt mit der Massstäblichkeit. Dann interessiert mich am Gitter auch die Verbindung mit der Architektur. Besonders die Differenz in der Architektur zwischen dem Plan und der Realisierung. Die zweidimensionale Idee und die dreidimensionale Umsetzung oder auch die Absurdität dieses Transformationsschrittes. Und bei solchen großen Arbeiten ist wichtig, dass die Arbeit im Verhältnis zum Körper steht und begehbar ist. Ich möchte, dass sie immer zusammen mit den Leute, die über diese Fläche laufen, wahrgenommen wird.

// Gibt es etwas, das dich mehr interessiert: das Gitter, was du untersuchen willst oder das Material?

/// Das Material! Zum einem komme ich oft von Material her. Mich interessiert der Punkt beim Material, an dem es eigentlich versagt. Ein gutes Beispiel sind die ganzen Klebebandarbeiten mit Elektrotape, das nicht an der Wand haftet. Durch diesen Defekt und die Kombination des Klebebands auf einer Oberfläche, für die es nicht produziert wurde, entsteht eine Komposition. Die ist temporär, verändert sich, verschwindet, und ich kann sie dabei nicht beeinflussen.

// Du gibst die Komposition völlig an den Zufall ab?

/// Die Entscheidung einer von mir gesetzten Komposition gibt es dann gar nicht mehr. Sondern ich nehme es dann einfach so an, wie es da ist. Ich interessiere mich für Komposition, aber ich weigere mich es selbst zu tun, weil ich es zu langweilig finde, wenn ich mir jedes Mal selbst überlegen würde, wie ich komponieren würde.

// Dein Fokus liegt auf dem, was andere möglichst vermeiden wollen? Dem, was das Material nicht kann?

/// Ich arbeite einfach lieber mit dem Problem des Materials. Wenn ich zum Beispiel Drahtstücke zu einem Gitter zusammenlöte und die sich dann verbiegen, weil sie eigentlich zu dünn sind, entsteht eine Komposition, die ich mir selbst gar nicht überlegen hätte können. Auch bei der Tuschearbeit geht es um einen ähnlichen Ausgangspunkt: Obwohl ich die gleiche Tuschemischung habe, gibt es nie den gleichen Farbton. Es hängt immer davon ab, wie viel Farbe auf dem Pinsel ist. Aber durch das Format, die Bewegung und das Material entsteht diese „zufällige“ Komposition innerhalb von Bedingungen, die ich festlege. Dass das Element der Bewegung noch hinzukommt ist mir sehr wichtig.

// Obwohl man den Eindruck hat, dass du dich bevorzugt mit Gittern und Materialeigenschaften auseinander setzt, ist das Gitter ersetzbar, oder? Es geht nur um eine formale Struktur für dieses Material, die am besten nicht symbolisch behaftet ist.

/// Ja. Wenn du eine Idee hast, gib mir Bescheid. Anfangs war es glaube ich nur das Interesse an der All-over-Komposition. Ein Gitter hat keinen Schwerpunkt. Keine Komposition. Diese Klarheit hat mich interessiert. Dazu kam, dass sich schon bei der kleinsten Veränderung eine Komposition formt. Und nachdem das Gitter in meiner Arbeit nicht mehr wegzudenken war, kam natürlich auch die Auseinandersetzung mit dem Raster an sich, mit Wiederholung, Serialität, Produktionsabläufen, Netzwerken, etc. Inzwischen sind meine Arbeiten weit davon entfernt sich auf die beiden Komponenten Material und Gitterstruktur reduzieren zu lassen.

// Schwierig.

/// Das Gitter ist schon etwas dankbares. Es ist immer ein Maßstabgeber. Der Aspekt, Millimeterpapier zurück zu beziehen auf Architektur und dabei zu wissen, dass das Gebäude aber schon auf Millimeterpapier geplant wurde, ist mir wichtig. Dass es so in etwas Absurdes zurück geht, finde ich interessant.

// Das Material muss also in eine Form, damit es nicht nur ein Tuschefleck ist?

/// Genau.

// Du hättest ja auch in eine Wanne Tusche auskippen können.

/// Ja. Tusche ist eigentlich ein klassisches Zeichenmaterial. Man kann ja auch mit riesigen Japantuschepinseln arbeiten

// … oder etwas Gegenständlichen malen.

/// Richtig.

// Du hast gerade davon gesprochen, dass dich die Entscheidung eine bestimmte Form zu kreieren, nicht interessiert. Eine Form, die dann etwas kommuniziert, weil sie zum Symbol wird. Interessiert dich eine inhaltliche Ebene überhaupt?

/// Ich weiß, dass, wenn ich mir so etwas vornehme, es so wird, dass es mich nicht mehr interessiert. Ich will als letztes illustrativ sein. Das Gitter macht so viele Ebenen von Entscheidungen hinfällig, die mich nicht beschäftigen. Ich will ja eher wirklich dicht an dem Material dran bleiben und nicht sagen, das Material muss jetzt das oder jenes produzieren. Aber, wenn eine fertige Arbeit dann so dasteht, ist mir wichtig, dass sie verschiedene Ebenen aufmacht und dass es verschiedene Lesarten gibt.

// Also nicht wie bei der Konkreten Kunst, wo jede Assoziation wegfällt?

/// Genau. Überhaupt nicht. Es ist in Ordung wenn du sagst, die Tuschezeichnung (Gitter#20) erinnert dich an Nebel, oder Wasser….

// ….Schwarm…

/// …oder Vogelschwärme. Ich würde mich trotzdem nie dafür entscheiden, dass ich diese Assoziation noch bewusst verstärke.

// So ist es viel offener. Es hat eine andere inhaltliche Ebene.

/// Ich glaube auch an dem Punkt zu sein, wo sich meine Herangehensweise verschieben könnte. Man will sich ja auch nicht einfahren. Momentan ist es einfach: ich nehme ein Material und ein Gitter. Das lasse ich aufeinanderprallen und das ist das Ergebnis. Es ist in Ordnung. Aber ich will es auch nicht durchdeklinieren. Was neu ist an der Tuschearbeit ist auch die Größe. Die Zeichenarbeiten davor waren wesentlich kleiner. Mir ist dann auf Fotos von einer dieser Arbeiten aufgefallen, dass die besten Fotos, die waren, auf denen man dachte, die Arbeit ist 5 mal so groß. Ich hab dann die Größe und das Format für die Tuschearbeit so gewählt, dass man darin stehen kann und sie größer ist, als man selbst. Sie wird schon fast zu einer Art Mauer. Und was sich in letzter Zeit ebenfalls verändert hat, ist das Interesse an Dingen aus der Dingwelt. Die Karos für die Tuschearbeit kommen aus rautierten Schulheften und sind nicht nur horizontale und vertikale Linien. Da bin ich gespannt, wie es weiter geht.